Auf Rommels Spuren durch Dinoland und durch Tunnels auf die Zielgerade

Claut – Tramonti di Sotto

Samstag, 20.08.2011

Die Etappe nach Tramonti di Sopra wird lang werden, vor allem, weil ich vorhabe, einen Umweg zu laufen, um ein Stück des Ultramarathons im Oktober kennenzulernen. Außerdem habe ich nach gestern vorerst genug vom Laufen auf der Straße, und will früher in die Berge abbiegen.

Bis Lesis laufe ich doch auf der Teerstraße. Um diese Uhrzeit sind noch kaum Autos unterwegs. Das Schild  “Willkommen im Triassic Park” steht noch da, wie vor 8 Jahren. Diesmal verzichte ich aber auf die spektakuläre Begegnung mit der Dinosaurier-Fußspur, und steuere gleich den Höhenweg an.

An einer Forststraßenkreuzung bin ich mir gar nicht mehr sicher, in welche Richtung ich weiter muss. Gerade da holt mich ein anderer Läufer ein, der erzählt, er erhole sich gerade von einem Rennen vor zwei Wochen. Die hatten zwischendurch sogar Schnee.

Der Weg zur Forcella Clautana ist richtig schön, durch Wald und über blumenbunte Lichtungen mit netten Ausblicken. Mitten auf der Strecke ist eine leere, aber gut instand gehaltene Almhütte an einem traumhaften Fleck. Hier wäre ein schöner Platz zum Biwakieren. Ich laufe weiter Richtung Forcella. Das hier oben ist zwar ein Umweg gegenüber vor acht Jahren, aber schöner.

Viel später als kalkuliert erreiche ich die Forcella Clautana. Ab hier geht es in einem großen Bogen mäßig bergab, auf einem Weg namens Strada degli Alpini. Früher könnte das eine Fahrstraße gewesen sein, der Breite der gut erhaltenen Stücke nach. Jetzt ist viel zugewachsen, verschüttet und abgerutscht, was den Weg streckenweise mühsam macht. Und nirgends gibt es Wasser, und die Sonne sticht voll herunter. Aber beim letzten Mal bin ich viel öfter in Gestrüpp und Himbeersträuchern hängen geblieben, vielleicht hat seitdem mal jemand den Bewuchs gelichtet. Und es geht stetig sanft bergab, strengt also nicht besonders an.

Der Weg dauert trotzdem sehr lang. In einigen der vielen Kurven sieht man, wie er sich schier unendlich weit an einem zerklüfteten Steilhang entlangwindet. Dafür ist er erstaunlich ebenmäßig, nur eben stellenweise zugewachsen.

Laut den Schildern an der Forcella Clautana ist die nächste Station “Le Tronconere”. Das war wohl einmal das letzte Anwesen über dem heutigen Stausee, am Ende der Strada degli Alpini. Ich glaube, mich daran erinnern zu können, dass vor 8 Jahren an dieser Stelle noch eine ansehnliche Ruine war. Jetzt sehe ich beim genaueren Hinsehen ein paar Mauerreste im Wald. Die von Mauern eingefassten Zufahrtswege sind zugewachsen. Nicht einmal einen Brunnen oder eine Quelle gibt es hier – leider. Der Punkt “Le Tronconere” auf den Landkarten und die Wegweiser mit diesem Namen werden aber vermutlich noch bleiben.

Wenigstens beginnt hier ein Fahrweg.

Und schon gibt es Gegenverkehr – einen mit einer Familie vollgepackten Mittelklassewagen. Der Fahrer hält an und fragt, wie weit es bis zur nächsten ordentlichen Straße ist. Ich erkläre ihm, dass in 200 Metern die Straße in einen Steig übergeht, und ich nicht weiß, ob es bis dahin noch einen guten Platz zum Wenden gibt. Vermutlich hat er sich von der Bezeichnung “Strada degli Alpini” irre leiten lassen. Meine Auskunft gefällt ihm sichtlich nicht. Ich sehe noch, dass er an der nächsten nicht abschüssigen Stelle wendet.

Trocken ist die Strecke, sehr lang und ohne eine Wasserstelle. Zum Glück ist es heute zwar sonnig und trocken, aber nicht ganz heiß. Irgendwann überholt mich die Familie von vorhin. Sie haben also das Wendemanöver überlebt.

Die Straße quert einen Bach, der dem Stausee entgegenstürzt. Wasser! Ich turne von der Straße hinunter ins Bachbett. Das sieht der Fahrer des Wagens, der gleich neben dieser Stelle in einer dafür geeigneten Nische geparkt hat. Und der hält das Unterfangen für keine gute Idee. Vielmehr erzählt er mir von Tierchen, die in dieser Region bisweilen im Wasser gefunden werden und schlecht für die Gesundheit sind, wenn man sie hinunterschluckt. Ich wäge ab, dass meine Alternativen sind, in etlichen Stunden völlig ausgetrocknet in der nächsten Ortschaft anzukommen, oder vorher wegen Wassermangels zusammenzubrechen – und lasse mir das Wasser schmecken.

Eines der wenigen Häuser entlang der Straße hat einen frisch gemähten Rasen. Außerdem fällt mir dort ein weißer Kasten auf, der ein Tank sein könnte, für Wasser oder sonst was. Wohnt hier wieder jemand? Die Antwort überholt mich eine halbe Stunde später in Gestalt eines älteren Mannes in einem Kleinwagen. Der hält an, kurbelt das Beifahrerfenster herunter, und fängt an zu erzählen.

Er habe weiter oben ein Haus gekauft und hergerichtet. Das habe ich gesehen. Alle ziehen weg. Er hat weiter unten eine Sägemühle in Betrieb genommen, mit seinem Sohn. So kommt wieder Leben in das Tal – wenigstens ein bisschen Du bist über die Strada degli Alpini gekommen? Da ist im 2. Weltkrieg zusammen mit den italienischen Faschisten auch ein deutscher General marschiert, ein ganz bekannter. Der Name fällt mir nicht ein, aber der Typ hat sich später in Afrika einen Namen gemacht, in der Wüste. Rommel. Genau!

Der Mann spricht in seinem besten Französisch, als er merkt, dass es mit meinem Italienisch nicht weit her ist. Dem kann ich gerade so folgen, weil er es nicht viel mehr beherrscht als ich. Zwar antworte ich stets auf Italienisch, weil er mein grammatikfreies “Französisch” niemals verstehen würde, aber da ich ein Ausländer bin, muss er in seiner Fremdsprache mit mir reden. In diesem Fall trifft sich das günstig, weil ich echtem Italienisch im Originaltempo nach so wenigen Tagen Übung kaum folgen könnte.

Der Stausee ist wirklich sehr, sehr lang. Auf den Kilometern vor der Staumauer gibt es sogar noch eine ordentliche Steigung. Irgendwann treffe ich auf eine Einmündung, die zum Magredi Mountain Trail gehören müsste. Ich mache ein Foto, zur Dokumentation und aus Aberglauben, weil ich mir dadurch einen Heimvorteil verschaffen will.

An der Staumauer beschließe ich, dass die Zeit reichen muss, die Tunnels und ein weiteres Stück der Rennstrecke abzulaufen.

Die zwei Tunnels, die die Zufahrt zu einem weiteren Stausee, dem Lago di Ca Zul., ermöglichen, sind nass aber herrlich kühl. In Verbindung mit den nassen Füßen, die sich ab dem zweiten Tunnel nicht vermeiden lassen, ist die Kühle sogar fast unangenehm. Zudem beunruhigt mich das Schild, das ausdrückt, dass der Zutritt verboten ist – an das ich mich erst erinnere, als sich von hinten ein Auto nähert – und mich irgendwann überholt. Und freilich ist so ein langer Tunnel immer etwas gruselig. Aber die drei Kilometer Nacht, Nässe und Kälte nehmen mir die Hitze des langen südländischen Sommertages und bewahren mich vielleicht in letzter Minute vor einem Hitzschlag.

Für das Stück nach Tramonti di Sopra brauche ich überraschend lange, aber ich genieße jeden Meter des steinigen Pfades durch die Traumlandschaft mit dem tief unten rauschenden und türkis leuchtenden Fluss. Angenehm ist jetzt auch die abendlich laue Luft.

Da ich erwarte, jeden Augenblick in Tramonti di Sopra einzutreffen, fühle ich mich auch nicht unter Zeitdruck. Ich genieße einfach das Laufen. Dass das eine sehr lange Etappe gewesen sein muss, spüre ich gar nicht. Schade, dass für übermorgen schon die Heimfahrt auf dem Programm steht.

Als es schon merklich dämmert, erreiche ich eine Teerstraße und habe ein paar Gärten mit Häusern um mich. Sieht etwas nach Hotel oder Pension aus? Wo muss ich weiterlaufen? Die Karte sagt: Bergab halb links. Etliche Minuten später, als es gerade finster ist, erreiche ich das schummrig beleuchtete Tramonti di Sopra – und sehe nach langer Zeit wieder Menschen.

Ich frage die beiden Frauen, ob es in der Nähe ein Hotel gibt. Eher nicht, aber in Tramonti di Sotto, 2 bis 3 Kilometer bergab. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, kann mein Mann Sie hinfahren. Der wird mich gleich abholen.

OK. In diesem Fall gerne.

Aber nur, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Vermutlich meint sie, ich will unbedingt alles zu Fuß zurücklegen. Da ist sie nah dran, und die drei Kilometer würde ich überleben. Aber ich spekuliere darauf, dass ich vielleicht noch etwas zu Essen bekomme, wenn ich nicht allzu spät Quartier beziehe. Und da zählt jetzt jede Minute. Die Frau ist zuversichtlich, aber nicht ganz sicher, ob ich ein Zimmer bekommen kann.

Das müssen mehr als drei Kilometer sein, nach Tramonti di Sotto. Endlich bleiben wir mitten in einem kleinen Ort an einem Dorfplatz mit Tankstelle und Gasthaus stehen. Die Frau übernimmt die Buchung. Ich bekomme ein Zimmer. Gleich, nachdem ich meine Sachen abgelegt habe, gehe ich ins Restaurant. Leute sind noch viele da, aber vor allem im Garten und zum Trinken. Gibt’s noch was zum Essen?

Leider nicht.

🙁

Nur noch Pizza.

🙂

Meine Enttäuschung hält sich in Grenzen. Die Vorfreude auf Rotwein und eine feine Pizza hat mich heute mehr als gut auf den Beinen gehalten. Und die Pizza ist wirklich riesengroß und ganz nach meinem Geschmack. Das ist ein angemessener Abschluss für meine sechste Alpenquerung zu Fuß.



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