Heiße Traumetappe auf bekannten Wegen

Rif. Flaiban Pacherini – Rif. Pussa – Claut

Freitag, 19.08.2011

Heute will ich einen Weg laufen, von dem ich weiß, dass er einsam, aber wunderschön sein wird – weil ich einen großen Teil der Strecke schon gelaufen bin, 2003 und 2008. Das Verbindungsstück wird ein trockenes Flussbett sein, beziehungsweise die Straße dazwischen.

Den schönen, steilen schottrigen Weg zur Scharte lege ich bei schon strahlend blauem Himmel am angenehm kühlen Morgen zurück. Mein Pass durchschneidet eine spektakuläre Gipfelrunde, die ich vor drei Jahren schon einmal an anderer Stelle durchquert habe.

Hier habe ich auch das ausgesetzteste Stück meiner Tour. Das fällt mir natürlich prompt ein, als ich in Shorts, T-Shirt und Laufschuhen mit Stöcken in der Hand hier oben stehe.

Nach wenigen Metern bin ich schon wieder in einem Schotterhang, und sehe jetzt eine Biwakhütte in einer sonst verfallenen Almsiedlung. Eigentlich ist es eine verwilderte Wiese, in der sich etliche Mauerreste verteilen, und die auf drei Seiten von hohen felsigen Bergen eingerahmt ist. In eine Ecke einer der Ruinen ist ein Häuschen eingepasst worden – das Bivacco.

Früher eine Alm, heute ein Bivacco

Früher eine Alm, heute ein Bivacco

Auf der Terrasse dieses Häuschens sitze ich auf einer Bank und genieße die kleine Landschaft, die vor nicht gar so langer Zeit noch viel mehr Leben gewohnt war.

Die Biwakhütte müsste jetzt auch wieder mindestens 10 Leute vertragen, dem Schlafraum und der gut eingerichteten Küche nach zu schließen.

Trüb und schwül ist es jetzt. Immer wieder drücken Nebelschwaden mit schwarzen Schatten in das kleine Tal. Dazwischen sticht die Sonne herunter. Das könnte heute ein Gewitter geben.

zu einem Bivacco gehört eine Madonna

… und die Madonna dazu

Gleich nach der Hütte, neben einem Andachtsplatz, führt der Weg steil den Wald hinunter. Bald passiere ich ein großes Schild:

“Nur noch 15 Minuten bis zum Bivacco. Bitte mit Holz sammeln anfangen!”

Bald ist der Weg flacher und sehr schnell laufbar, auf tiefem, raschelnden Laub. Leider verstecken sich unter den Blättern Steine. Erwischt – mein Fuß knickt um und ich sehe erst mal Sterne. Nach einer Minute ist das vergessen, aber als mir das ein paar Mal passiert ist, nehme ich mir vor, beim nächsten Mal noch flachere Schuhe zu nehmen, fast ohne Hebel.

Einmal trete ich mit einem Fuß auf einen krummen Ast. Der schnellt hoch und bremst abrupt den anderen Fuß. Ich drehe eine Pirouette; gleich neben mir geht es steil den Wald hinunter.

Bei jedem Beinahe-Unfall werde ich noch vorsichtiger. Der Weg zieht sich hin, streckenweise geht  es sogar bergauf. Ich habe seit Stunden keine Menschen mehr gesehen. War das vor drei Jahren auch so weit? Bin ich noch auf dem richtigen Weg? Andererseits ist das eine Strecke und eine Landschaft, wo ich mich wohlfühlen und den ganzen Tag lang laufen könnte.

Irgendwann höre ich einen Wasserfall rauschen, bald sehe ich ihn auch. Den erkenne ich wieder. Blödsinn, ich weiß, dass es in der Nähe nur so davon wimmelt.
Ich beschließe, mich abzukühlen und zu waschen. Da gerade eine Gruppe kommt, mache ich nur den Oberkörper nass; das tut auch schon gut.

Jetzt ist gerade Mittag, und in Sichtweite ist das hochmoderne Rifugio Pussa mit seiner zeltartigen Konstruktion aus Holz und Glas, trotzdem schlage ich mit frisch gefüllter Wasserflasche gleich die andere Richtung ein, nach Claut. Wenn mich durch das lange Tal jemand mitnimmt, kann ich heute noch die nächste Hütte ansteuern.

Recht bald kommt mir diese Entscheidung ziemlich blöd vor: Ein Essen hätte schon noch gut getan, es fahren kaum Autos, die mich mitnehmen könnten, und bald verlasse ich die Fahrstraße. Als ich diese nämlich in Serpentinen in die Berge verlaufen sehe, setze ich mich ins Schotterbett des fast trockenen Flusses ab.

Natürlich läuft es sich auf Kies anstrengend, und die Sonne heizt kräftig; aber flach ist es, und einem Läufer sollten fünfzehn Kilometer nichts ausmachen. Die Berge rundum sind nicht hoch, aber steil und steil aufgefaltet. Die Schichten verlaufen fast senkrecht. Vor 48 Jahren ist ganz in der Nähe mal ein halber Berg abgerutscht und in einem Stausee gelandet. Die Flutwelle hat ganze Dörfer ausgerottet, 2000 Menschen.

Die Straße hat mich bald wieder, dann treffe ich auch wieder auf Gebäude und Radwege. Die Strecke zieht sich hin, aber die Landschaft bleibt malerisch, ich träume und renne vor mich hin, und um drei Uhr Nachmittag bin ich in der kleinen Ortschaft Claut auf Nahrungssuche. Die meisten Restaurants haben Siestapause, die Lebensmittelläden auch. Ein Lokal auf einem hübschen zentralen Platz scheint auf zu haben. Ich setze mich hin. Habt ihr alkoholfreies Bier? Nein. Was zu Essen? Erst ab fünf Uhr. Ich gehe weiter.

Um die Ecke ist ein gut besuchtes Eiscafé. Dort stärke ich mich und studiere die Landkarte.   Die nächsten möglichen Ziele sind recht weit weg und der Himmel zieht zu. Ich suche ein Hotel. Die ersten sind schon voll. Alle? Ausgerechnet dort, wo ich vorhin wieder gegangen bin, ist noch etwas frei. Der Mann von vorhin warnt, das wäre   kostspielig. Ich akzeptiere die 35 Euro für das Viersternehaus.

Noch während ich mich frisch mache, geht ein kräftiges Gewitter nieder. Gut dass ich nicht unterwegs bin, nicht mehr im Flussbett und nicht in den Bergen. Die Zeiteinteilung war optimal für heute.

Im Lebensmittelladen kaufe ich Obst und etwas Proviant für die nächste – lange – Etappe. Essen gehe ich im anderen großen Restaurant des Dorfs. Diesmal gibt es das volle Programm mit allen Gängen.



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