Rush Hour im Märchenland

Almdorf Königsleiten – Richterhütte

Freitag, 12.08.2011

Vom Almdorf Königsleiten aus gibt es schöne gepflegte Wanderwege. Einer führt mich zum Speicher Durlaßboden. Ab da wird es ungemütlich. Zwar ist die Bergkulisse über dem Wasser herrlich anzusehen, aber die schmale Teerstraße macht mir bestimmt weniger Spaß als den vielen Autofahrern, die mich ziemlich eng überholen müssen – und sich wegen des Verkehrs nicht anzuhalten trauen. Erst auf halber Asphaltstrecke nimmt mich ein holländisches Pärchen mit bis zum Gasthaus Finkau. Hier wird dem Urlauber und Ausflügler neben Wasser, Essen, Bergblick und Trinken auch ein Abenteuerspielplatz geboten. Reichen die Berge selber da nicht aus?

Der perfekt ausgebaute Weg zur Zittauer Hütte ist einmalig abwechslungsreich und sehr gut besucht. Anfangs verbindet ein parkartig anmutender aber steiler Weg Aussichtsbrücken über einen Sturzbach, der durch stete tosend nasse Gewalt eine Schneise mit tiefen Löchern in den Fels gefressen hat. Zwischendurch versuche ich immer wieder, von einem der Stege aus die Schlucht mit dem steil abfallenden Bach abzubilden, beziehungsweise die großen natürlichen Wasserbecken, in denen das wilde Nass schäumend und tosend herumwirbelt, was mir aber nicht so recht gelingen will.

Klamm zwischen Finkau und Zittauer Hütte (Gerlos)

Viel Wasser, aber das Rauschen passt nicht ins Foto

Auf einem langen Stück Fahrweg überhole ich besonders viele Leute, an den kurzen Steigungen sogar Mountainbiker. Am Schlussanstieg wird eine hohe steile Geländestufe mit weiter Aussicht auf die geschafften Bergketten, die Nachbarberge und das durchwanderte Tal elegant, unauffällig und nicht einmal schwierig auf einem fast natürlich wirkenden Plattenweg überwunden. Hier gilt es wieder, Rücksicht zu nehmen. Wenigstens bin ich heute so früh dran, dass ich kaum Gegenverkehr habe. Oben bin ich erst mal der einzige, der statt auf der Sonnenterrasse in der kühlen Gaststube Platz nimmt.

Nach einem alkoholfreien Bier und einer Suppe mit Knödeln bin ich sowieso schon wieder im schönsten Sonnenschein zur Richterhütte unterwegs. Mitten in den Bergen bin ich jetzt, und fast allein, und der Weg ist so gerade noch laufbar für mich, macht also richtig Spaß. Dank der Schuhe mit der biegsamen Sohle und den bissigen Stollen spüre ich jede Unebenheit und klebe am Boden wie ein Gecko. Bergab laufen ist ein Abwägen zwischen Spaß, Reaktion und Risiko. Grundsätzlich muss man nur die Beine schnell genug nach hinten anheben und der Schwerkraft freien Lauf lassen. Dann bleibt die Belastung für die Knie kurz und fließend. Das Tempo kann aber hoch werden. Auf diesen ausgewaschenen Pfaden zwischen Alm und Mondlandschaft macht das bei einem leichten bis mäßigen Gefälle fast rauschartig Spaß. Gleichzeitig ist höchste Konzentration nötig, weil immer wieder Stufen und Steine jeder Größe im Weg sind.

Steil – flach – Tempo halten, Stufe, Kurve, abwärts laufen lassen – uups, die Fußspitze bleibt an einem zu großen Stein hängen, zu abrupt für eine kontrollierte Bremsung. Ordentlich landen, nicht die anderen großen Steine anvisieren – zu spät.

Mein rechtes Knie trifft genau eine weitere Steinspitze. Das war’s mit dem Laufen.

Und jetzt? Ein Transport wäre in dem Gelände problematisch. Das weiß ich aus Erfahrung. Das hatte ich vor einundzwanzig Jahren schon mal. Aber heute ist der Rücken heil geblieben. Also weiterlaufen, wenn’s geht, und zwar gleich, bevor das Knie anschwillt. Ich schaue kurz nach unten und sehe Blut. Das schau ich mir am nächsten Bach oder an der Hütte an, wenn ich so weit komme. Ab da gibt es auch einen Fahrweg. Nach ein paar Metern tut gar nichts mehr weh.

An der Hütte habe ich den Zwischenfall schon wieder vergessen. Und ich habe Glück, dass ich früh dran bin und einen Platz im Lager bekomme. Hier sind viele Bergsteiger unterwegs, die es auf die kaum zu zählenden schönen hohen Gipfel rund herum abgesehen haben. Bei der abendlichen Katzenwäsche bemerke ich die Blutkruste an meinem Knie. Nachdem ich das vorsichtig ab- und ausgewaschen habe, bleibt zwei Zentimeter innerhalb der Kniescheibe eine Platzwunde übrig, die sich kaum mit einem Pflaster abdecken lässt. Im Lager ist es wie so oft eng, muffig und unruhig, und es wird eine der seltenen Nächte, in denen ich kaum schlafen kann.



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