Wild Campen

Mit eher flüchtigen Blicken an der Karte orientiert, geht die Etappe über Vinon s. Verdon und Ste Paul les Durance und dann nördlich der Durance und ihrer Kanäle durch Mirabeau, Pertuis, Villelaure und Cadenet, bis plötzlich die Dämmerung da ist. In dieser ländlichen Gegend jetzt noch eine Herberge zu suchen, halte ich für aussichtslos. Der Scheinwerfer des Rades beleuchtet ein Schild ,,Silvacane“, bevor neben einem Feldweg, auf dem jetzt bestimmt nichts mehr los ist, der Schlafsack ausgebreitet wird.

Am nächsten Tag strample ich über Mallemort, Alleins, Eyguieres, Mouriès und Maussanne les Alpilles nach Arles. Hier liegt laut Verzeichnis die letzte Jugendherberge, die heute zu erreichen ist. Um an eine Übernachtung zu denken, ist es mir aber noch zu früh. Die vorangegangenen Tage habe ich sowieso mehr mit dem Einkauf und Verzehr von Lebensmitteln und dem Betrachten der Landschaften und Dörfer verbracht, als mit zügigem Radfahren. Gegen eine weitere kurze Etappe würde trotzdem nichts sprechen, aber es zieht mich nach Süden, nach Marokko. Und wer weiß, wie gut man südlich der Pyrenäen noch vorankommt. Die sicher gut ausgebaute Küstenstraße möchte ich vermeiden, nachdem ich an der Küste von Jugoslawien weniger gute Erfahrungen gemacht habe. Zuviel Tourismus verdirbt die Einheimischen. Von der Strecke durch das Innenland erwarte ich, dass ich natürlichere Leute treffe, bin aber gleichzeitig auf heiße Tage und endlose, öde und kahle Hügellandschaften gefasst, wo ich bestimmt keine langen Etappen schaffen werde.

So gönne ich mir eine Kugel Eis zum luxuriösen Preis von zehn Francs und suche danach einen Weg in Richtung Westen für Radfahrer. Nach viel vergeblichem Fragen und Suchen wähle ich doch die Schnellstraße nach Montpellier. Aber die Fahrt auf dem breiten, flachen Asphaltband ist einfach zu öde. Außerdem nervt der Fahrtwind der Autos, die oft so schnell vorbeirasen, dass man sich fragt, ob die bei dem Tempo einen Radfahrer überhaupt sehen. Bevor ich womöglich auf dem Rad einschlafe oder auf eine rasende Kühlerhaube genommen werde, biege ich an der nächstbesten Straße nach Süden ab. Auf der müsste man an die Küste kommen und dort Montpellier umfahren können.

Vorher schlage ich aber an einem Feldweg neben einem kleinen sanft plätschernden Kanal ein Nachtlager auf, da man in der Nacht in einer völlig unbekannten Gegend sehr leicht in eine falsche Richtung gerät. Außerdem sieht man nachts nichts von der fremden Landschaft. Bei dem wunderbar warmen Wetter ist es sowieso angenehm, im Freien zu schlafen.

Im Laufe der Nacht sind aus nicht allzu großer Entfernung platschende Geräusche zu hören. Wahrscheinlich hat ein Boot angelegt. Später wiederholt sich das Ganze. Noch ein Boot? Was ist denn da los? Als das Platschen immer häufiger wird, drängt sich die Vermutung auf, dass hier doch mehr los ein muss. Bei einer nächtlichen Feier würde man aber Stimmen hören, und hier spricht kein einziger Mensch. Schmuggler? Wenn es welche wären, könnte man auch nicht mehr tun, als sich ruhig zu verhalten. Da der Weg von der Geräuschquelle zur Straße sowieso nicht hier vorbei führt, besteht eigentlich keine Gefahr, gesehen zu werden. Und Angst davor, entdeckt zu werden, müssten allenfalls die anderen haben. Das beste ist also, zu schlafen. Das Platschen geht indes die ganze Nacht hindurch weiter.

In der Morgendämmerung werden die Ruhestörer durch das Tageslicht enttarnt. Dutzende von mittelkleinen Fischen machen fröhliche Luftsprünge. Das war alles! Und auch der richtige Weg zum Meer ist bald gefunden. Von hier geht es zügig über Carnon-Plage und Séte nach Beziers.



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